Der italienische Schriftsteller, Philosoph, Medienwissenschaftler und Semiotiker Umberto Eco (1932 – 2016) hat sich intensiv mit Verschwörungen und Verschwörungstheorien befasst. Er beschreibt in diesem Zusammenhang einen «Beweis des Schweigens» und führt als Beispiel die Anschläge auf die Twin Towers am 11. September 2001 an.
Was meint Umberto Eco mit dem «Beweis des Schweigens»?
Umberto Eco schreibt dazu:
«Was schliesslich die Verschwörungen und die Geheimnisse angeht, so sagt uns die Erfahrung (auch die historische) Folgendes: 1.) Wenn es ein Geheimnis gibt, und sei es auch nur einer einzigen Person bekannt, so wird diese Person es früher oder später offenbaren, womöglich ihrem Liebhaber im Bett – nur die naiven Freimaurer und die Adepten gewisser kindischer Templerriten glauben an ein Geheimnis, das niemals an Licht kommt. 2.) Wenn es ein Geheimnis gibt, wird es immer auch eine angemessene Summe geben, für die jemand bereit ist, es zu enthüllen (ein paar Hunderttausend Pfund Sterling als Honorar für Autorenrechte genügten, um einen Offizier der britischen Armee alles erzählen zu lassen, was er mit Prinzessin Diana im Bett gemacht hat, und hätte er es mit Dianas Schwiegermutter getan, hätte es genügt, die Summe zu verdoppeln, und ein Gentleman seines Schlages hätte auch darüber ausgepackt).»
Und was schreibt Umberto Eco nun zu 9/11?
«Um nun einen vorgetäuschten Anschlag auf die Twin Towers zu organisieren (also sie zu verminen, der Luftwaffe zu bedeuten, dass sie nicht eingreifen soll, störende Beweise zu beseitigen und so weiter), wäre die Mitwirkung wenn nicht Tausender, so dich zumindest Hunderter von Personen nötig gewesen. Die zu solchen Zwecken eingespannten Personen sind jedoch gewöhnlich keine Gentlemen, und es ist ganz undenkbar, dass nicht wenigstens eine von ihnen für eine entsprechende Summe geredet hätte. Kurzum, in dieser Geschichte fehlt der Tiefe Schlund.»
Quelle:
Umberto Eco; Verschwörungen, Carl Hanser Verlag 2021
Anmerkungen:
☛ Umberto Eco hat auch darauf hingewiesen, dass Verschwörungstheorien von realen Problemen ablenken können. Siehe dazu: Ablenkung durch Verschwörungstheorien statt Lösung realer Probleme.
☛ Über Verschwörungen und ihre Grenzen hat sich auch der italienische Staatsmann Niccolò Machiavelli (1469 – 1527) in seinem Werk interessante Gedanken gemacht. Ähnlich wie Umberto Eco kommt er zum Schluss, dass Verschwörungen hochgradig Gefahr laufen aufzufliegen, und zwar je mehr Mitwisser es gibt:
«Vor der Entdeckung einer Verschwörung kann man sich nicht schützen, wenn die Anzahl der Mitwisser drei oder vier übersteigt.»
Siehe dazu: Machiavelli über Verschwörungen und ihre Grenzen
☛ In einem Aufsatz in der Fachzeitschrift PLOS One aus dem Jahr 2016 hat der Physiker David Grimes von der Oxford University mit Mitteln der Mathematik belegt, wie lange es dauert, bis eine gross angelegte Verschwörung von Insidern aufgedeckt wird. Dazu hat er reale Verschwörungen untersucht, die aufgeflogen sind. Aus der Zahl der Eingeweihten und der Zeit bis zum Auffliegen leitete er eine Formel ab, mit der sich errechnen lässt, wann ein Schwindel auffliegen müsste. Bei der Verschwörungstheorie mit der inszenierten Mondlandung kommt Grimes damit bei 411.000 Mitwissern (damaligen Mitarbeitern der NASA) auf 3,68 Jahre. Verschwörungen mit über 1000 Mitwissern haben nach Grimes praktisch keine Chance, über längere Zeit unentdeckt zu bleiben.
Bei der angeblichen Verschwörung betreffend der menschengemachten Klimaerwärmung schätzt Gimes die Zahl der nötigen Mitwisser auf 400.000 (so viele Menschen zählen, grob überschlagen, beteiligten Forschungsinstitutionen an). Schon nach 3,7 Jahren hätte hier jemand Alarm schlagen müssen. Und wenn 9/11 wirklich ein Inside-Job der Regierung oder der Geheimdienste gewesen wäre, hätte es dazu eine mindestens fünfstellige Zahl an Mitwissern gebraucht.
☛ Von Schriftsteller Dean Koontz stammt das Zitat:
«Menschen sind unfähig, Verschwörungen im grossen Stil aufrechtzuhalten, da wir als Spezies nun einmal zur Ungenauigkeit im Detail und zur Panik neigen und einfach nicht den Mund halten können.»
(Quelle: Novella, Bedienungsanleitung für Deinen Verstand, S. 232)